Linguistische Validierung: Empfehlungen und Tipps der WHO
Komplexe multinationale Studien erfordern eine umfassende Planung. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählt die linguistische Validierung – also die Überprüfung der Richtigkeit, Verständlichkeit und Genauigkeit – von Patient Reported Outcome Measures (PROMs).
In diesem Beitrag beschreiben wir, warum eine professionelle linguistische Validierung bei internationalen Studien-Projekten unverzichtbar ist. Anschließend möchten wir einschlägige Empfehlungen und Tipps der Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit Ihnen teilen.
Wozu dient die linguistische Validierung?
Bei internationalen klinischen Studien prüfen Expertenteams die Patientenfragebögen für die Studienzentren in den einzelnen Zielländern vorab auf Verständlichkeit. Diese Prüfung erfolgt im Rahmen der linguistischen Validierung.
Neben Fachexperten und Übersetzern sind an der linguistischen Validierung auch kleine Gruppen an Patienten beteiligt. Diese beurteilen, ob die Patientenfragebögen verständlich sind. Die Interpretation der übersetzten Fragebögen durch die Probanden führt schließlich zum finalen Fragebogen für die eigentliche Studie.
Definition: Was ist linguistische Validierung und was sind PROs?
Unter Patient Reported Outcomes (PROs) versteht man patientenberichtete Daten – beispielsweise zu Lebensqualität, Schmerzen oder Erschöpfung. – Mehr darüber erfahren Sie auch in unserem Beitrag über Patient Reported Outcomes.
Die Verwendung von PROs in klinischen Studien gibt Aufschluss über den tatsächlichen Behandlungsnutzen. Nur so lässt sich beispielsweise in Erfahrung bringen, ob Patienten ein Medikament auch tatsächlich einnehmen würden.
Die Instrumente zur Erhebung von PROs nennt man Patient Reported Outcome Measures (PROMs). Meist handelt es sich dabei um Fragebögen. Um diese in verschiedenen Ländern oder Regionen zuverlässig einsetzen zu können, spielt die Übersetzung und kulturelle Adaptation eine entscheidende Rolle.
Den Prozess der Überprüfung und Harmonisierung der Übersetzungen der PRO-Instrumente bezeichnet man als linguistische Validierung. Ziel ist es, die Validität der PRO-Daten und damit der gesamten Studie sicherzustellen.
Linguistische Validierung – der Workflow
Internationale Organisationen wie die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) [1] oder die International Society for Pharmacoeconomics and Outcomes Research (ISPOR) [2] haben detaillierte Richtlinien und Qualitätsstandards für die linguistische Validierung ausgearbeitet.
Wertvolle Hinweise liefern auch die Begleitmaterialien zum WHO Disability Assessment Schedule 2.0 (WHODAS 2.0), einem Fragebogen der Weltgesundheitsorganisation zur Bewertung des Gesundheitszustands und der Lebensqualität bei verschiedenen Krankheiten [3].
Vereinfacht umfasst der Prozess der linguistischen Validierung sechs Schritte:
- Konzepterstellung und Bewertung der Übersetzbarkeit des Original-Instruments
- Zwei Vorwärts-Übersetzungen durch unabhängige Übersetzer und anschließender Abgleich zu einer Version
- Rückübersetzung und Harmonisierung
- Kognitives Debriefing
- Erstellung der Finalversion in der gewünschten Zielsprache
- Abschlussbericht
Kognitives Debriefing: ein entscheidendes Best-Practice-Element
Als kognitives Debriefing bezeichnet man die Interviews der übersetzten Fragebögen an einer kleinen, repräsentativen Gruppe von Patienten. Auf diese Weise soll die Angemessenheit, Verständlichkeit und Relevanz von PRO-Instrumenten in der jeweiligen Muttersprache der Patienten gewährleistet werden.
Erst nach dieser Prüfung kommen die Instrumente in den internationalen Studienzentren an einem breiten Patientenkollektiv zur Anwendung.
Das kognitive Debriefing gilt auch als zulassungsrechtlich entscheidender Schritt, um die Erfassung und Bewertung von PRO-Daten in mehreren Ländern auf eine sichere Basis zu stellen.
Typische Herausforderungen im Validierungsprozess
Die Expertengruppe der WHO beschreibt in ihren Begleitmaterialien zum WHODAS 2.0-Fragebogen einige typische Probleme, wie sie bei der Übersetzung und Validierung von PRO-Instrumenten häufig auftreten [4]:
Modifizierte Bedeutung eines Begriffs in lokalen Versionen derselben Sprache
Beispiel: Das Wort „notes“ wird in British English im Sinne von Geldscheinen verwendet. Bei der Übersetzung in American English muss der Begriff durch „bills“ ersetzt werden.
Keine exakte idiomatische oder begriffliche Entsprechung
Beispiel: Der Begriff „responsiveness“ hat in zwei großen indischen Sprachen, Hindi und Telugu, keine Entsprechung. Um das Konzept zu vermitteln, muss der Übersetzer eine Umschreibung wählen.
Engerer oder breiterer Begriffsumfang
Beispiel: Der Begriff „distress“ hat je nach Kultur eine unterschiedliche Bedeutung. Er kann „Schmerz“, „Kummer“, „Stress“ oder „schwierige / gefährliche Situationen“ bedeuten.
Beispiel: Das Wort „interference“ hat im Arabischen zehn verschiedene Bedeutungen, was die Übersetzung des allgemeineren englischen Begriffs erschwert.
Zusammenführung verschiedener Begriffe in der Zielsprache
Beispiel: Die Begriffe „community“ und „society“, die im Englischen verschiedene Konzepte beschreiben, lassen sich in einigen indischen Sprachen nicht unterscheiden.
Probleme mit der kulturellen Anwendbarkeit
Beispiel: Die Verfügbarkeit und Verwendung von Hilfsmitteln wie Rollstühlen, Hörgeräten oder Rampen in Gebäuden kann von Land zu Land erheblich variieren.
Vielfach ist daher eine Anpassung von Konzepten oder Begriffen erforderlich. Unter Umständen sind bestimmte Items im Zielland nicht angemessen oder irrelevant.
Übersetzung von PROs: Do´s und Dont´s laut WHO
Neben diesen konkreten Beispielen hat die Expertengruppe der WHO generelle Tipps und Hinweise für die Übersetzung und linguistische Validierung von PRO-Instrumenten erarbeitet [5].
Ein Überblick:
- Generell sollen Übersetzungen einfach, klar und prägnant sein.
- Ziel sollte die konzeptionelle Übereinstimmung sein, nicht eine wortwörtliche Übersetzung. Um dies zu erreichen, empfiehlt die WHO: An der Übersetzung und Überprüfung sollten Experten beteiligt sein, die mit dem Inhalt der Instrumente vertraut sind, aber auch die jeweilige Zielkultur und Zielsprache gut kennen.
- Übersetzungen sollten für Laien verständlich sein – es sei denn, die Zielgruppe sind Fachpersonen wie etwa Ärzte. Technische Begriffe sind daher zu vermeiden.
- Umgangssprache sollte ebenfalls vermieden werden.
- Übersetzungen sollten alters- und geschlechtssensibel sein.
- Falls ein Begriff in den Zielländern anstößig ist, sollten Übersetzer prüfen: Ist der Begriff für das Instrument unverzichtbar? Falls ja, empfiehlt die WHO die konzeptuell nächstliegende Formulierung, die möglichst wenig anstößig ist.
mpü – Ihr Experte für linguistische Validierung und kognitives Debriefing
Patient Reported Outcomes (PROs) sind unverzichtbar, um patientenzentrierte Daten wie Lebensqualität oder psychisches Wohlbefinden in die klinische Forschung zu integrieren. Für den Einsatz in internationalen Studien ist eine präzise Lokalisierung inklusive linguistischer Validierung entscheidend.
Setzen Sie auf die Erfahrung und die bewährten Dienstleistungen von mpü: Mit unserem globalen Netzwerk aus spezialisierten Ärzten und In-Country-Reviewern begleiten wir unsere Kunden durch alle Phasen – von der Überprüfung der Übersetzbarkeit über das kognitive Debriefing bis zur Testung und Anwendung in den Zielländern.
Wir bieten Ihnen individuelle Lösungen je nach Bedarf – ob Komplettpaket oder einzelne Prozess-Schritte – und garantieren einen reibungslosen Ablauf Ihrer Projekte.
Referenzen
[1] European Medicines Agency (EMA): Linguistic review – Human. Online: https://www.ema.europa.eu/en/human-regulatory-overview/marketing-authorisation/product-information-requirements/linguistic-review-human, abgerufen 09.01.2025.
[2] International Society for Pharmacoeconomics and Outcomes Research (ISPOR) (2005): Principles of Good Practice for the Translation and Cultural Adaptation Process for Patient-Reported Outcomes (PRO) Measures: Report of the ISPOR Task Force for Translation and Cultural Adaptation. Value in Health Vol. 8 No. 2, online: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1524-4733.2005.04054.x, abgerufen 09.01.2025.
[3] World Health Organization (WHO): WHODAS 2.0 Translation Package (Version 1.0). Translation and Linguistic Evaluation Protocol and Supporting Material. Online: https://terrance.who.int/mediacentre/data/WHODAS/Guidelines/WHODAS%202.0%20Translation%20guidelines.pdf, abgerufen 09.01.2025.
[4] Ebd., S. 3 f.
[5] Ebd., S. 7.